Eine der heiligen Städte Indiens, Varanasi hat 1,2 Millionen Einwohner und gilt als die spirituelle Hauptstadt der Hindus. Sie ist die Stadt des Gottes Shiva Vishwanath und seit mehr als 2500 Jahren pilgern Gläubige zu diesem Ort. Als besonders erstrebenswert gilt es für strenggläubige Hindus, in Varanasi im Ganges zu baden, sowie hier zu sterben und verbrannt zu werden.
Entlang des Ufers des Ganges ziehen sich kilometerlange, stufenartige Befestigungen – die Ghats, an denen die Gläubigen im Wasser baden, das Bad im Ganges soll von Sünden reinigen. Ein paar Meter neben der traditionellen Waschung werden die Leichen der Verstorbenen auf Holzscheiten verbrannt, nachdem sie in das heilige Nass der „Mutter-Ganges“ getaucht wurden. Die Asche wird nach der Verbrennungszeremonie in den Fluss gestreut. In Varanasi zu sterben und verbrannt zu werden, ist der hinduistischen Mythologie zur Folge der Ausbruch aus dem ständigen Kreislauf der Wiedergeburt. Jeder gläubige Hindu versucht mindestens einmal im Leben nach an diesen besonderen Ort zu pilgern.
Unser Quartier im Gassengewirr war die Brown Bread Bakery, ein schlichtes aber sehr geschmackvoll eingerichtetes Guesthouse. Wie wir später erfuhren, ist der Besitzer aus Deutschland. Das Guesthouse hatte im Erdgeschoss ein Restaurant und auf dem Dach eine Terrasse mit gemütlichen Sitzgelegenheiten. Geschützt war diese Terrasse von einem Gitter, damit die zahlreich vorhandenen Affen nicht das Essen vom Teller klauen oder in das Gebäude gelangen. Unser gemütliches Zimmer mit eigenem Bad lag im 2 Stockwerk. Wir stellten schnell fest, dass die Gassen von Varanasi noch verwinkelter und enger als die von Thamel in Kathmandu sind. Aus vielen Winkeln duftet es lecker nach irgendwelchen Speisen oder Räucherstäbchen. Dieser Duft vermischt sich aber mit den unangenehmen Gerüchen der allgegenwärtigen Hinterlassenschaften der heiligen Kühe und vom Müll. Durch die Gassen, die kaum breit genug für zwei Menschen nebeneinander sind, drängeln sich laut hupende Motorradfahrer, Unmengen von Menschen und es bleibt kaum mehr Platz, an den vielen Kühen vorbei zu kommen, die oft ganz entspannt mitten auf dem Weg herum stehen oder liegen.
Wir lassen uns treiben, kosten hier und da eine Leckerei für ein paar Cent und bemerken schnell, dass Varanasi eine Stadt ist, die alle Sinne fordert. Sobald wir von der zwei Meter breiten Hauptgasse in eine noch engere Nebengasse abbiegen, ist es fast unmöglich, sich nicht zu verlaufen, aber irgendwie findet man immer wieder den Weg zurück.
Jeden Abend kurz nach Sonnenuntergang findet am Ganges eine hinduistische Zeremonie statt – die Ganga Aarti. Hierbei wird dem Ganges gedankt und ein Opfer in Form von Blumen und Kerzen gebracht. Zu diesem Spektakel versammeln sich tagtäglich sehr viele Menschen am wichtigsten Ghat im Zentrum der historischen Stadt. Es herrscht ein großes Durcheinander und es wimmelt von fliegenden Händlern, die Opfergaben oder Andenken im kunterbunten indischen Stil verkaufen. Das Ghat ist voll von hinduistischen Gläubigen und wenigen Touristen, die auch in unzähligen kleinen Booten vom Ganges aus die Zeremonie begleiten. Auffällig ist auch die große Anzahl der ganz in orange gekleideten Bettelmönchen (Sadhus), teilweise mit Gesichtsbemalungen und Dreadlocks.
Wir erwischten mit viel Glück einen Platz ganz vorne am Geschehen neben einer älteren Dame aus den Niederlanden, die jeden Abend hier sitzt und uns über den Ablauf der Zeremonie und die Besonderheiten informierte. In vorderster Reihe gab es zudem Gartenstühle, die für VIP´s reserviert waren, diese wurden kurz vor Beginn von ihren meist reichen Besitzern bezogen. Wir hatten am Fuß der VIP Plätze einen perfekten Blick auf die einstündige Zeremonie, die von sieben jungen Priestern (Brahmanen) mit viel Rauch, Feuer und Gesang in einer perfekten Choreographie durchgeführt wurde. Begleitet wurde sie vom pausenlosen Gebimmel von kleinen Glocken, die von den Gläubigen im Takt geläutet wurden – für uns war es war ein beeindruckendes Schauspiel.
An einem Tag sind wir 12 km in Flip Flops aus der Stadt heraus Richtung Sarnath spaziert, einer alten buddhistischen Gebetsstätte, die heute nur noch aus Ruinen besteht und ein Museum ist. Es ging zunächst 3 km am Ufer des Ganges entlang, vorbei an badenden Hindus und Wasserbüffeln sowie an einer Beerdigung an einem Ghat, an dem sich das Holz für die Einäscherung der Verstorbenen stapelte. Etwas weiter wurde im Ganges Wäsche gewaschen und an den Treppen der Uferbefestigung zum Trocknen ausgelegt. Wir sind in ein Wohnviertel abgebogen und haben uns für wenige Cents am Straßenrand mit kleinen deftigen und süßen Snacks gestärkt. Danach ging es noch ein paar Kilometer an Gleisen entlang. Für Inder scheint es ganz normal zu sein, Bahnschienen als Fußweg zu benutzen und die relativ gemächlich dahinfahrenden Züge kündigten sich immer durch lautes Hupen an. In Indien wird also nicht nur auf den Straßen gehupt. Am Ziel angekommen erholten wir uns zunächst und genossen eine frische Kokosnuss, wir bezahlten den Eintritt und schauten uns die Anlage inklusive einer sehr alten und großen Stupa an. Für den Rückweg nahmen wir uns ein Tuk Tuk, unser Fahrer drängelte sich hupend durch die vollen Straßen bis in die Nähe unseres Hostels. Den letzten Kilometer sind wir gelaufen, weil ein alter umgestürzter Baum die Straße und damit den Zugang versperrt hat.
Am nächsten Morgen machten wir eine Bootstour zum Sonnenaufgang auf dem Ganges. Wir verhandelten am Ghat kurz und hart über den Fahrpreis und setzten uns zu unserem Bootsmann Samos in eine hölzerne Nussschale. Wir warteten noch auf einen weiteren Fahrgast und um 6 Uhr morgens ruderte Samos los raus auf den Ganges. Wir sahen die Ghats, die alten Häuser und Tempel nun vom Fluss aus. Die erhoffte romantische, morgendliche Atmosphäre wollte nicht so recht aufkommen, die Sonne schaffte es kaum durch den Dunst und Smog, der permanent über der Stadt hängt. Wir ruderten etwas den Ganges hinauf und hinunter und sahen die Beisetzungszeremonien diesmal vom Fluss aus, auch um diese Uhrzeit herrschte schon reges Treiben. Am Ufer waren schon viele gläubige Hindus bei ihrem morgendlichen Bad. Nach einer Stunde steuerte der Kapitän zurück ans Land und wir schlenderten zurück in unser Hostel, um uns bei einem kurzen Schläfchen vom frühen Aufstehen zu erholen.
Zusammenfassend können wir sagen, dass Varanasi eine Reise wert ist. An diesem Ort herrscht eine sehr besondere Stimmung, es fühlte sich für uns an wie eine Reise in eine unwirkliche spirituelle vergangene Zeit. Wir sind froh einen Einblick in das Leben der Stadt und seiner Bewohner bekommen zu haben, aber genauso froh und dankbar waren wir, nach fünf Tagen weiterzureisen. Varanasi ist kein Ort, den man einfach besucht, es ist ein Gefühl, welches man dort empfängt. Diese Stadt hat mit seiner historischen Kulisse und seiner langen Geschichte ein unglaubliches Potential. Das Gangesufer mit seinen Tempeln und Palästen ist auf den ersten Blick wunderschön, bei näherer Betrachtung ist jedoch alles ungepflegt, vermüllt und zum Teil verrottet. Einige Bauten in der Altstadt sind eingestürzt, der Schutt bleibt einfach liegen, sicher gehört aber auch dieser Teil zu diesem einzigartigen besonderen Ort.